Das Jahr 2003 war sowohl für Azzedine Alaïa als auch für die Modegeschichte ein prägendes Jahr. Am 23. Januar kehrte er nach elf Jahren der Stille auf die Bühne der Haute Couture zurück. In den 1980er Jahren hatte Alaïa, gefeiert als „König der Kurven“, die Modewelt im Sturm erobert und Kleidungsstücke kreiert, die den weiblichen Körper zu betonen schienen. Doch in den 1990er Jahren, inmitten der Herrschaft von Minimalismus und Kommerz, zog er sich zurück. In der Stille seines Ateliers lauschte er nicht dem Lärm der Mode, sondern dem Rhythmus der scharfen Schnitte der Schere und dem Atem des Stoffes selbst. Aus dieser Stille erwuchs ein wundersamer Moment: die Couture-Kollektion 2003.
Dieses historische Kapitel wird nun erneut in der Ausstellung „Azzedine Alaïa, of sculpted silence – the 2003 Couture collection“ in der Fondation Azzedine Alaïa vom 12. September bis 16. November 2025 in den Mittelpunkt gerückt. Kuratiert von Carla Sozzani, Joe McKenna und Olivier Saillard – drei Persönlichkeiten, die Alaïas Ästhetik tief verwurzelt sind – findet die Schau unter demselben Glasdach statt, das auch die ursprüngliche Präsentation schützte. In diesem lichtdurchfluteten Raum erwachen rund dreißig Archivstücke zu neuem Leben.
Jacken und Redingotes lösen sich von der Starrheit gerader Linien und setzen stattdessen auf schräge Schnitte. Jeansröcke verwandeln steifen Stoff in etwas Federleichtes, während Musselin so zart schwebt wie der Atem selbst. Das reduzierte Reißverschlusskleid erinnert an klösterliche Zurückhaltung und enthüllt doch auf geheimnisvolle Weise den weiblichen Körper. Krokodilleder in Schwarz-Weiß zeichnet imposante Silhouetten; Hemden erblühen in Lilienweiß; Stickereien schimmern, als würden sie Licht absorbieren. Diese Arbeiten verkörpern keine Zurschaustellung von Virtuosität, sondern eine unerbittliche Verfeinerung der „unsichtbaren Technik“ – eine reine Hingabe an die Kunst des Kleidermachens.
Film und Fotografie bereichern die Ausstellung. In den Aufnahmen der Originalschau begleiten Jacques Préverts Gedichte, Arlettys Stimme und Juliette Grécos Lieder die ruhigen Schritte der Models, wobei jedes Kleidungsstück mit jedem Schritt neues Licht einfängt. Claudio Del Rios Film „Afo mon bébé“, gedreht aus der Sicht von Alaïas geliebtem Hund, bietet einen intimen Blick hinter die Kulissen – und fängt Stille, Konzentration und Handwerk in ihrer reinsten Form ein. Im zweiten Stock zeigen noch nie gezeigte Schwarz-Weiß-Fotografien von Bruce Weber, die ursprünglich 2003 für die italienische Vogue in Auftrag gegeben wurden, Kleidung, die den Körper nicht erobert, sondern sanft seine Konturen nachzeichnet und so eine stille, neue Weiblichkeit hervorhebt.
2003 brach das Publikum in tosenden Applaus aus, doch Alaïa selbst erschien nicht. Ihm ging es nie um das Spektakel – es waren die Kleidungsstücke, die in der Stille leuchteten und sprachen. Genau diese Haltung war die Essenz seiner Ästhetik. „Jedes Kleidungsstück, unabhängig von Material oder Zweck, verdient den gleichen Respekt“, bemerkte Alaïa einmal. In dieser Ausstellung erstrahlt jedes Stück – ob Couture oder Prêt-à-porter – als „geformter Moment“, zeitlos und eigenständig.
Mehr als zwanzig Jahre nach diesem unvergesslichen Tag stehen die Kleidungsstücke erneut unter dem Glasdach, in Stille geformt, und stellen uns eine Frage, die durch die Zeit hallt: Kann Mode uns wirklich über die Grenzen der Zeit hinaus umarmen?
Mit freundlicher Genehmigung: Alaïa Foundation
Text: Elie Inoue